Eine Infusion Glück gefällig? Sich treiben lassen und schauen, was einem begegnet? Unsere Autorin hat genau das getan: Sie ist die Isar entlang geradelt und abgestiegen, wo immer es besonders schön war. Ob bei einem Schwenk hinein in Münchens Viertel, am wilden Eisbach oder im flirrenden Grün der Isarauen – sie hat sich wieder einmal verliebt in diese Stadt.
Ich bin kein echtes Münchner Kindl, darf mich inzwischen aber wohl als Münchnerin bezeichnen. Bayerische Redensarten wie „ja mei“, „so a Schmarrn“ oder „pack ma's“ gehen mir mühelos über die Lippen, auch habe ich, was Freizeitsport-Aktivitäten angeht, das ortstypische Leistungsdenken verinnerlicht. Nur bitte heute nicht. Tempotempo, Scheuklappen, Konkurrenz im Nacken – kann ich mir gerade alles überhaupt nicht vorstellen. Auf keinen Fall werde ich mir heute ehrgeizige Ziele stecken.
Getreu diesem Vorsatz starte ich zu einer entspannten Radtour am Odeonsplatz, meinem Lieblingsplatz am nördlichen Rand der Altstadt, der auf mich stets stimmungsaufhellend wirkt. Auch diesmal werde ich nicht enttäuscht: Die ockergelbe Fassade der Theatinerkirche ragt in einen unverschämt blauen Himmel auf. Hinter dem Eingang zum Hofgarten stehen die Kastanien in voller Blüte. Hier treffe ich Fotograf Frank, der am Münchner Großstadtdschungel besonders den Dschungel-Teil mag und lieber in der Isar badet als in Menschenmengen. Ich freue mich, dass er mit mir radelt und wir gemeinsam ein paar schöne Momente einfangen werden – als Anregung für alle, die Lust haben, München von einer sehr grünen und entspannten Seite kennenzulernen. Jetzt aber pack ma's!
Wir schlendern zuerst ein Stück durch den Park hinüber zur Bayerischen Staatskanzlei, deren Neubau Ende der 1980er-Jahre so heiß diskutiert wurde. Warum eigentlich? Wenn ich mich recht erinnere, stießen die Bagger damals auf so viele herausragende Zeugnisse aus der Stadtgeschichte, dass eine Bürgerinitiative gegen das Bauvorhaben mobilisierte.
Als „Mischung aus Mausoleum und Gewächshaus“ bezeichneten die Gegner*innen das geplante Gebäude. Selbst wenn man seine Architektur heute ganz gelungen findet, muss man zugeben – das hatte durchaus Humor. Glücklicherweise ist man vom ursprünglichen Plan abgekommen, den bayerischen Regierungssitz fast dreimal so groß wie das „Weiße Haus“ zu bauen, so dass der Arkadengang am Nordrand des Parks erhalten blieb. Der Kiesweg davor ist übersät mit den silbernen Metallkugeln der Boule-Spieler, die sich zu jeder Jahreszeit hier tummeln.
Bayerische Redensarten wie „ja mei“, „so a Schmarrn“ oder „pack ma's“ gehen mir mühelos über die Lippen, auch habe ich, was Freizeitsport-Aktivitäten angeht, das ortstypische Leistungsdenken verinnerlicht. Nur bitte heute nicht.
Weiter geht's. Durch eine Unterführung sausen wir zu einem kleinen Abstecher in den Englischen Garten und zur Eisbachwelle. Ab hier wird Wasser zu unserem ständigen Begleiter. Mal fließt es murmelgrün zwischen Bäumen dahin, dann tobt es weiß schäumend über Staustufen hinab, um sich wenig später als glitzernder Teppich vor unseren Augen auszubreiten. Es ist ein strahlender, aber kühler Tag, trotzdem bin ich immer wieder versucht, wenigstens ein paar Schritte hinein zu wagen. Beim Haus der Kunst biegen wir wieder in Richtung Prinzregentenstraße ab und radeln am Bayerischen Nationalmuseum vorbei Richtung Isar. Wären wir bereits am Ende der Tour angelangt, hätte ich mit einem Drink auf der Terrasse der Goldenen Bar im Haus der Kunst geliebäugelt. Aber soweit sind wir noch lange nicht.
Auf der Brücke unterhalb des Friedensengels genieße ich den Blick über den Fluss hinüber zum Maximilianeum. Dort in den Maximiliansanlagen, auf dem Uferweg zwischen Bogenhausen und Haidhausen, hatte ich vor Jahren mal ein besonders schönes München-Erlebnis:
Es war ein leuchtender Spätsommertag, die Blätter schon leicht gelb verfärbt. Vom gegenüberliegenden Ufer wehten Klänge von Blasmusik herüber und zwischen den Bäumen zog eine Reihe von Pferdekutschen vorbei. Wow, dachte ich, München wie aus dem Bilderbuch. Das gefiel mir. In diesem Moment konnte ich mir vorstellen, länger hier zu bleiben. Nach mittlerweile über zwei Jahrzehnten in der Landeshauptstadt weiß ich: Es muss das erste Wochenende vom Oktoberfest gewesen sein, denn gegenüber an der Maximilianstraße startet zum Auftakt der Wiesn der alljährliche Trachten- und Schützenzug.
Der Friedensengel glänzt weithin sichtbar auf seinem Sockel. Mit dem Ölzweig in der ausgestreckten Rechten steht er vordergründig für Frieden unterm weiß-blauen Himmel. Wenn man allerdings genau hinsieht, entdeckt man die kleine Figur der Kriegsgöttin Athene, die er in der Hinterhand hat. Goldgrundig sind auch die vier Mosaiken im Jugendstil rund um das Fundament des 38 Meter hohen Monuments. Heute nehme ich mir die Zeit, das alles eingehender zu betrachten.
Der Friedensengel glänzt weithin sichtbar auf seinem Sockel. Mit dem Ölzweig in der ausgestreckten Rechten steht er vordergründig für Frieden unterm weiß-blauen Himmel. Wenn man allerdings genau hinsieht, entdeckt man die kleine Figur der Kriegsgöttin Athene, die er in der Hinterhand hat.
Die aus unzähligen kleinen Steinen zusammengesetzten Bilder haben die Sicht auf Krieg und Frieden im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts zum Thema. Das Bild auf der Nordseite zeigt zwei spärlich bekleidete Krieger der Antike, die mit Lanzen gegeneinander kämpfen. Viel Haut und Muskeln sind da zu sehen. Ganz schön naiv, denke ich, der Krieg verpackt in Bildern wie aus einem Sandalenfilm. Zu dem Zeitpunkt, als die Anlage mit dem Friedensengel 1899 vollendet wurde, hatte man die blutigen Schlachten im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wohl bereits erfolgreich verdrängt. Auf den Sieg gegen die Franzosen folgten Jahre des Friedens, in denen Kunst und Wissenschaften aufblühten. Die Schrecken der beiden Weltkriege lagen da noch weit entfernt.
Unterhalb des Friedensengels gibt es im Fußgängertunnel seit 2011 eine Urban-Art-Galerie. Internationale Größen wie Kid Acne und Dotmaster aus England, Light und Markus aus Russland und Stuko aus Japan haben sich hier schon verewigt, aber auch Münchner Stars der Szene wie Loomit. Alle zwei Jahre dürfen die Bilder übermalt werden. Die Liste der Bewerber*innen für einen Platz in der Hall-of-Fame unter dem Friedensengel ist lang. Ich bin gespannt, was aktuell zu sehen ist. Neben einigen Murals, die Endzeitstimmung verbreiten, leuchten aus dem Dunkel die Graffitis einer liegenden Frau und eines Paradiesvogels. Andächtig streiche ich über ein Fleckchen Gold auf dem rauhen Putz. Das Feuerwerk an Farben, das die südamerikanische Sprayergruppe INTI aus Chile hier an die Wand gebracht hat, stimmt mich fröhlich, und das hat das Kollektiv auch so bezweckt. Was für ein Geschenk.
Für die erste Kaffeepause steuern wir die Dachterrasse des Cafés Frau im Mond im Deutschen Museum an und ergattern einen Platz ganz außen an der Brüstung mit einem Blick die Isar entlang bis hinauf zu den Türmen des Heizkraftwerks in Obersendling und hinüber in die Au, wo der Münchner Komiker Karl Valentin geboren wurde (Zeppelinstraße 41). Das Deutsche Museum liegt auf einer Isarinsel und ist mittlerweile 100 Jahre alt. Im Museumsgarten ankern zwei Veteranen der Seenotrettung. Hier in München, wo gerade kein Lüftchen weht, fällt es schwer, sich ihre Einsätze an Deutschlands Küsten vorzustellen.
Von hier an wird Wasser zu meinem ständigen Tourbegleiter. Mal fließt es murmelgrün zwischen Bäumen dahin, dann tobt es weiß schäumend über Staustufen den Fluss hinab, um sich wenig später als glitzernder Teppich vor meinen Augen auszubreiten.
Fakt ist: In 25 Jahren auf stürmischer See hat die „Theodor Heuss“ 2500 Menschen aus Seenot gerettet, die „Asmus Bremer“ 644 Menschen aus den Wellen geborgen und im Einsatz umgerechnet fast viermal die Erde umrundet. Bei Generationen von Schülern, und nicht nur bei denen, ist das Deutsche Museum vor allem für seine Experimente beliebt. Ich habe in meinem Leben noch keine Kuh gemolken, kein Orchester dirigiert und keine Rakete gezündet. Zu allem bestünde hier die Möglichkeit. Zeit wird's.
„Züge, Flüsschen, Blumen, Abendsonne – und Bier. Wer diese fünf Begriffe in einen romantischen Zusammenhang setzen kann, der ist hier goldrichtig: in Giesing“. Diesen Einstieg habe ich geklaut. Schöner als im Artikel Bleibt alles anders kann man Giesing nicht beschreiben, und ich habe lange genug selbst hier gewohnt. Im Schyrenbad habe ich meine Runden gezogen, im Duftgarten des Städtischen Rosengartens nebenan den Kinderwagen geschaukelt. Heute sitzt ein junger Mann auf meiner angestammten Bank, der offensichtlich viel Zeit beim „Pumpen“ verbringt und die windstille Ecke nutzt, um der Sonne seine muskulöse Brust zu präsentieren.
Auf der Wiese unter den blühenden Bäumen bietet sich ein friedliches Bild: Hier haben sich Eltern mit Babys, Deckchen, Windeln und Gläschen ausgebreitet. Für ältere Kinder gibt es einen Bach, auf dem man wunderbar Schiffchen schwimmen lassen kann und einen Lehrgarten, indem sie einiges über giftige Pflanzen lernen können. Von Namen wie „Schierling“ und „Taschentuchbaum“ habe ich mich mal gemeinsam mit einem befreundeten Literaten zu einem Stück experimenteller Prosa inspirieren lassen. Ich nehme mir auf jeden Fall vor wiederzukommen, wenn die Rosen blühen.
Ganz besonders liebe ich in Giesing den Auer Mühlbach, der für verwunschene Orte mitten in der Großstadt sorgt. Das kleine Viertel rund um die Mondstraße in Untergiesing, wo die Gärten der Häuser direkt an den Bach grenzen, ist ein Beispiel dafür. Nicht weit davon entfernt, zwischen Eisenbahnbrücke und Pilgersheimer Straße, steht das sogenannte Hexenhäusel, wo neben leckerem Essen – „knusper, knusper, knäuschen!“ – auch Live-Musik und Lesungen geboten sind.
In einer Bildergalerie auf der Website des Cafés kann man verfolgen, wie aus einem aufgegebenen Kiosk mit viel handwerklichem und kreativem Geschick das Café Gans Woanders wurde. Mein persönliches Highlight sind seine Terrassen, wo man unter Baumkronen sitzt. Dank der unermüdlichen Münchner Brüder Hahn sind in den letzten Jahren mehrere dieser fantasievollen Orte entstanden, wie auch die Alte Utting, die wir gegen Ende der Tour besuchen.
Ich habe in meinem Leben noch keine Kuh gemolken, kein Orchester dirigiert und keine Rakete gezündet. Zu allem bestünde hier die Möglichkeit. Zeit wird's.
Kurz vor dem Tierpark Hellabrunn hängen wir doch einmal unsere Füße in den Auer Mühlbach. Während sein Wasser in früheren Zeiten Mühlen antrieb und zum Wäschewaschen und Feuerlöschen diente, macht er die Menschen jetzt auf andere Weise glücklich: Ein paar unerschrockene Jugendliche treiben im eiskalten Wasser an uns vorbei und etwas weiter nördlich von hier schlürfen Kaffeekenner ihren Third Wave Coffee auf der Terrasse der Fausto Kaffeerösterei direkt am Bach. Würden wir jetzt immer weiter Richtung Süden radeln, kämen wir irgendwann nach Italien.
Für einen Trip über die Alpen à la München-Venezia sind wir nicht gerüstet, stattdessen überqueren wir die Isar beim Flaucher. So heißt das gesamte Sommer-Freizeit-Badespaß-Idyll beidseits der Isar vom hölzernen Steg bis zur Braunauer Brücke auf Höhe des Rosengartens. Benannt wurde es nach der Gastwirtschaft eines gewissen Johann Flaucher. Der Biergarten existiert noch immer und wir kehren dort ein. Jetzt gilt es nur noch, ein griabiges Plätzchen zu finden. „Griabig“ ist das bairische Wort für lauschig und urgemütlich, für Orte, wo alles gut ist. Griabige Dinge sind gerne mal aus Holz, die typischen Biergartentische und Bänke zum Beispiel. Für Frank ist es die Ecke mit den roten Klappstühlen und runden Tischen mit Monstera-Deliciosa-Dekor. Dort lassen wir uns eine Brotzeit mit Bier, Obatzdem und Riesenbreze schmecken.
Der Flaucher ist unser Wendepunkt. Von hier geht es zurück in Richtung Altstadt, beziehungsweise nach Hause. Wir folgen dem Weg an der Isar weiter stadteinwärts und erreichen nach etwa zehn Minuten die Alte Utting. An Bord genießen wir die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Nachmittags. Das Schiff ist zum Wahrzeichen des Schlachthofviertels geworden und ein Beispiel dafür, dass scheinbar Unmögliches möglich wird, wenn man nur fest genug an seine Träume glaubt: in diesem Fall einen ausgedienten Ausflugsdampfer vom Ammersee nach München zu bringen und ihn dort auf eine stillgelegte Eisenbahnbrücke zu hieven, um darin ein Café zu eröffnen.
Hier, wie auch an vielen anderen Orten im Viertel, lebt Vergangenes auf eine sehr beglückende Weise fort. Im Café Tagträumer erinnern die Glasdecke und der originale Sollnhofer Steinplattenboden im Ladenraum an die Zeit in den 1970er-Jahren, als hier eine der zahlreichen Metzgereien des Viertels war. Auch das moderne Backsteinensemble des Volkstheaters mit seinen Bögen und Schwüngen integriert denkmalgeschützte Altbauten des ehemaligen Viehhofs.
Hier wie auch an vielen anderen Orten im Schlachthofviertel lebt Vergangenes auf eine sehr beglückende Weise fort.
Es gibt viele Gründe, auf dem Weg zurück in die Innenstadt dem Glockenbachviertel einen Besuch abzustatten: seine lebendige queere Szene, die vielen originellen Klamotten- und Vintage-Läden oder den ruhigen Südfriedhof an der Thalkirchner Straße, wo man zwischen den Gräbern berühmter Persönlichkeiten wandeln kann. Der Architekt Leo von Klenze, der Maler Carl Spitzweg und auch der Chemiker Justus von Liebig liegen hier begraben. Und natürlich Eisdielen! Zum Beispiel das geniale Pistazieneis bei „Jessas“.
Tipps, was man noch so anschauen kann, welche die besten Kneipen sind und wo man shoppen kann, gibt es hier. Unter dem Link findet man auch noch mehr Empfehlungen für Stadtviertel in München, die nicht auf unserer Tour lagen. Wir haben die Isartour ausgesucht, weil sie so schön einfach zu fahren ist: Auf Radwegen von der Innenstadt isaraufwärts mit Abstechern in die Au und Giesing – und auf der anderen Seite auf der Höhe des Flauchers durch das Schlachthof- und Glockenbachviertel wieder zurück in die Altstadt. Wenn man nicht so herrlich trödelt wie wir, kann man das auch in der Hälfte der Zeit, nämlich in ungefähr zwei Stunden schaffen. Sich treiben zu lassen, ist allerdings wärmstens zu empfehlen.